Die heutigen Arbeitswelten stehen unter Hochspannung. Organisationen agieren in einem Umfeld, das von schnellen Veränderungen, technologischer Disruption und globaler Vernetzung geprägt ist. Märkte bewegen sich in Echtzeit, Innovationszyklen verkürzen sich, und neue Geschäftsmodelle entstehen quasi über Nacht. In diesem Spannungsfeld kann Wissen nicht mehr einfach gespeichert, katalogisiert und in geregelten Bahnen weitergereicht werden. Stattdessen braucht es einen flexiblen, reaktionsfähigen Umgang mit Wissen: ein agiles Wissensmanagement, das mit den dynamischen Anforderungen moderner Organisationen Schritt hält.
Die klassische Idee von Wissensmanagement war lange an die Vorstellung geknüpft, dass Wissen etwas Statisches ist. Man sammelt es, speichert es in Datenbanken, klassifiziert es und stellt es bei Bedarf zur Verfügung. Doch dieser Ansatz greift zu kurz, wenn sich das relevante Wissen bereits verändert hat, bevor es überhaupt in der Datenbank angekommen ist. Organisationen brauchen heute nicht nur Zugang zu Wissen, sondern auch die Fähigkeit, es kontinuierlich zu erzeugen, weiterzuentwickeln und situativ anzuwenden (Probst et al., 2006). Hier setzt agiles Wissensmanagement an.
Was bedeutet „agil“ im Kontext des Wissensmanagements?
Der Begriff „agil“ stammt ursprünglich aus der Softwareentwicklung und wurde durch das Agile Manifest von 2001 bekannt, das Prinzipien wie Kundenzentrierung, iterative Entwicklung und teamorientiertes Arbeiten propagiert (Beck et al., 2001). Über die Jahre wurde dieses Denken auf viele andere Felder übertragen, auch auf das Wissensmanagement. Agilität im Wissenskontext bedeutet vor allem eines: die Fähigkeit einer Organisation, Wissen schnell, gezielt und situationsgerecht zu mobilisieren.
In agilen Organisationen ist Wissen kein zentral verwalteter Schatz mehr, sondern ein kollektiver Prozess. Es entsteht in der Interaktion, verändert sich durch Feedback und wird durch Experimente validiert. Das impliziert eine Abkehr vom reinen Dokumentieren hin zu mehr Co-Kreation, Reflexion und dezentraler Verantwortung für Wissen (North und Gueldenberg, 2011). Teams werden zu Wissens-Hubs, die sich kontinuierlich selbst weiterentwickeln, mit Methoden wie Retrospektiven, Stand-ups oder Wissenssprints.
Die neue Rolle von Wissensarbeit
Mit der Verbreitung agiler Praktiken hat sich auch die Rolle von Wissensarbeit verändert. Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter agieren nicht mehr bloß als Träger und Verteiler von Informationen, sondern als aktive Gestaltende von Lernprozessen. Das bedeutet, dass nicht nur individuelles Know-how zählt, sondern auch die Fähigkeit zur aktiven Wissensweitergabe im Team. Psychologische Sicherheit, Vertrauen und Lernkultur gewinnen dadurch an Bedeutung; nicht als weiche Faktoren, sondern als strukturelle Voraussetzungen für den erfolgreichen Umgang mit Wissen (Edmondson, 1999).
In diesem Sinne wird Wissensmanagement zu einer Führungsaufgabe. Führungspersonen müssen nicht mehr alles wissen, sondern Räume schaffen, in denen Wissen zirkulieren kann. Das bedeutet unter anderem, Zeit für Austausch einzuplanen, kollaborative Tools zur Verfügung zu stellen und systematisch Lerngelegenheiten zu initiieren, etwa durch Fehleranalysen, Lessons Learned oder strukturierte Reflexion (Reinmann, 2005).
Technologische Treiber und digitale Infrastruktur
Digitalisierung und Wissensmanagement sind untrennbar miteinander verknüpft. Agile Organisationen benötigen technologische Unterstützung, um verteiltes Wissen zugänglich zu machen, Schnittstellen zu reduzieren und Kollaboration zu ermöglichen. Tools wie Confluence, Miro, Slack oder MS Teams sind nicht nur Kommunikationswerkzeuge, sondern zentrale Knotenpunkte für geteiltes organisationales Wissen. Doch Technologie allein genügt nicht, entscheidend ist, wie sie eingebettet ist.
Agiles Wissensmanagement braucht Plattformen, die Wissensflüsse abbilden können, Feedback ermöglichen und Sichtbarkeit über die Arbeit anderer Teams schaffen. Die technische Infrastruktur muss dabei der Logik des agilen Arbeitens folgen: niedrigschwellig, adaptiv und integriert. Eine isolierte Wissensdatenbank hilft wenig, wenn sie nicht in die Alltagsprozesse eingebunden ist. Wissensmanagement muss dort stattfinden, wo auch die Wertschöpfung passiert: direkt im Projekt, im Sprint, im Kundenkontakt.
Kultur als Schlüssel: Von Wissensspeicherung zu Wissensdynamik
Neben Prozessen und Tools ist es vor allem die Unternehmenskultur, die über Erfolg oder Scheitern eines agilen Wissensmanagements entscheidet. Eine Kultur, die Fehler tabusiert, Wissen als Machtmittel betrachtet oder nur Expertenwissen gelten lässt, verhindert agiles Lernen. Stattdessen braucht es Offenheit, eine positive Haltung gegenüber Unwissenheit und die Bereitschaft zur kontinuierlichen Verbesserung.
Hier zeigt sich auch, wie stark Wissensmanagement mit Transformationsprozessen verwoben ist. Organisationen, die sich auf den Weg zur Agilität machen, müssen oft auch ihre Vorstellung davon, was Wissen ist und wie es entsteht, neu justieren. Wissen wird dann nicht mehr verwaltet, sondern dynamisch erzeugt. Wissensmanagement wird so zum Motor organisationaler Lernfähigkeit oder, wie es im agilen Jargon heißt: zur Grundlage für kontinuierliche Verbesserung („continuous improvement“).
Herausforderungen bei der Umsetzung
So einleuchtend das Konzept auch ist, die praktische Umsetzung ist alles andere als trivial. Agiles Wissensmanagement erfordert einen Mentalitätswandel auf vielen Ebenen. Dazu zählen Unsicherheiten im Umgang mit offenen Lernprozessen, Schwierigkeiten bei der Bewertung informeller Wissensflüsse oder auch das Spannungsfeld zwischen Dokumentation und Handlungsschnelligkeit. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie man Wissen sichtbar macht, das sich jenseits formaler Strukturen entwickelt, etwa in spontanen Gesprächen, digitalen Notizen oder Experimentierformaten.
Ein weiteres Spannungsfeld besteht zwischen Standardisierung und Flexibilität. Während agile Teams oft ihre eigenen Wissensroutinen entwickeln, braucht die Organisation als Ganzes trotzdem gewisse Standards, um Wissen organisationseinheitlich nutzbar zu machen. Hier ist ein gutes Maß an Balance gefragt: zwischen Top-down-Vorgaben und Bottom-up-Initiativen, zwischen Struktur und Emergenz.
Gute Praxis: Was funktioniert?
Trotz der Herausforderungen gibt es viele erprobte Praktiken, die agiles Wissensmanagement konkret umsetzbar machen. Dazu gehören etwa regelmäßige Reviews, in denen Wissen explizit reflektiert wird, oder Peer-Learning-Formate wie „Lunch & Learn“ oder „Working Out Loud Circles“. Auch digitale Wissensräume, in denen Mitarbeitende laufend dokumentieren, woran sie arbeiten, fördern Transparenz und Synergieeffekte.
Besonders wirksam ist das Prinzip der “Wissensanker”: Personen oder Teams, die gezielt dafür verantwortlich sind, Wissen in bestimmten Themenfeldern zu pflegen, zu verbreiten und weiterzuentwickeln. Sie wirken als Brückenbauer zwischen Silos, erleichtern Onboarding-Prozesse und sorgen dafür, dass wertvolles Wissen nicht verloren geht, wenn Mitarbeitende die Organisation verlassen.
Agiles Wissensmanagement als strategische Ressource
Letztlich ist agiles Wissensmanagement keine rein operative, sondern eine strategische Aufgabe. Es ermöglicht Organisationen, nicht nur auf Veränderungen zu reagieren, sondern sie aktiv mitzugestalten. Wer Wissen gezielt nutzt, schafft Innovationsfähigkeit, Resilienz und Wettbewerbsstärke. Das gilt besonders für kleine und mittelständische Unternehmen, die oft nicht über die Ressourcen großer Konzerne verfügen, aber mit hoher Anpassungsfähigkeit punkten können.
Die Investition in agiles Wissensmanagement zahlt sich nicht nur kurzfristig aus, sondern ist eine zentrale Voraussetzung dafür, auch langfristig lernfähig, anschlussfähig und innovativ zu bleiben. Dabei gilt: Nicht jede Organisation muss sofort „fully agile“ werden. Oft genügt es, an den richtigen Stellen mit kleinen Pilotprojekten zu starten, etwa durch die Einführung eines Wissensboards, durch agile Feedbackformate oder durch cross-funktionale Lerngruppen.
Was wir bei Eonar für Sie tun können
Bei der Eonar GmbH begleiten wir Organisationen auf dem Weg zu einem agilen und zukunftsorientierten Wissensmanagement. Unsere Stärke liegt in der Verbindung aus strategischer Perspektive und praxistauglicher Umsetzung. Wir helfen Ihnen, die passenden Methoden, Tools und kulturellen Hebel zu identifizieren, um Wissensprozesse flexibel und wirkungsvoll zu gestalten. Mit unserer Erfahrung im Bildungsmanagement, in der Digitalisierung und im systemischen Organisationsdesign entwickeln wir gemeinsam mit Ihnen Strukturen, die nicht nur Wissen sichern, sondern es zum Motor Ihrer Weiterentwicklung machen. Denn wir sind überzeugt: Wissen ist nicht nur das, was Organisationen haben, sondern das, was sie gestalten.
Autorin: Jana-Larissa Grzeszkowiak
Referenzen
Beck, K. et al. (2001): Manifesto for Agile Software Development. [online] Available at: https://agilemanifesto.org/
Edmondson, A. (1999): Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative Science Quarterly, 44(2), pp. 350–383.
North, K. and Gueldenberg, S. (2011): Wissensorientierte Unternehmensführung: Wertschöpfung durch Wissen. 6. Aufl. Wiesbaden: Gabler.
Probst, G. et al. (2006): Wissen managen: Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource optimal nutzen. 6. Aufl. Wiesbaden: Gabler.
Reinmann, G. (2005): Wissensmanagement und Lernkultur. In: Mandl, H., Krause, U.-M. and Renkl, A. (eds.) Wissen sichtbar machen: Wissensmanagement mit digitalen Medien. München: Oldenbourg, pp. 9–21.