Wissen ist Macht, sagt man. Doch im Unternehmenskontext ist Wissen erst dann mächtig, wenn es geteilt, weiterentwickelt und sinnvoll angewendet wird. Eine zentrale Herausforderung vieler Organisationen besteht deshalb darin, vorhandenes Wissen nicht nur zu speichern, sondern es lebendig zu halten. Genau hier kommen Communities of Practice ins Spiel. Sie sind mehr als nur lose Netzwerke von Kolleginnen und Kollegen. Sie sind soziale Gefüge, in denen Wissen nicht nur zirkuliert, sondern auch entsteht. Doch was genau sind Communities of Practice? Welche Rolle spielen sie im modernen Wissensmanagement? Und warum sollte sich jedes Unternehmen, das langfristig wettbewerbsfähig bleiben will, intensiv mit ihnen beschäftigen?
Was sind Communities of Practice eigentlich?
Der Begriff „Community of Practice“ geht auf die Arbeiten von Etienne Wenger und Jean Lave zurück. In den frühen 1990er Jahren beschrieben sie erstmals, wie Lernen als ein sozialer Prozess funktioniert, der nicht primär durch formale Lehrmethoden geprägt ist, sondern durch die aktive Teilnahme an gemeinschaftlichen Praktiken (Lave und Wenger 1991). Eine Community of Practice ist damit eine Gruppe von Menschen, die ein gemeinsames Interesse, ein gemeinsames Thema oder eine gemeinsame Herausforderung verbindet. Das verbindende Element ist nicht nur das Thema an sich, sondern die kontinuierliche Auseinandersetzung damit.
Drei zentrale Merkmale machen eine Community of Practice aus: Erstens ein gemeinsames Interessensgebiet, das die Gruppe zusammenhält. Zweitens die regelmäßige Interaktion und der Austausch von Erfahrungen, Geschichten, Lösungsansätzen oder auch offenen Fragen. Drittens ein geteiltes Repertoire an Wissen, Tools, Sprachmustern oder Problemlösungsstrategien, das sich über die Zeit entwickelt.
Wissen lebt von Beziehungen
Wissensmanagement wird häufig mit Technologien in Verbindung gebracht. Es geht um Datenbanken, Wikis, Intranets oder Content-Management-Systeme. So wichtig diese Systeme sind, so klar ist auch: Sie reichen nicht aus. Wissen ist immer eingebettet in Kontexte, geprägt durch Erfahrungen und schwer in Form von reinem Datenmaterial zu fassen. Der wesentliche Unterschied zwischen Information und Wissen liegt genau in diesem Zusammenhang.
Communities of Practice sind soziale Räume, in denen dieser Zusammenhang erhalten bleibt. Sie erlauben es, Erfahrungswissen zu transportieren, implizites Wissen sichtbar zu machen und neue Bedeutungen gemeinsam auszuhandeln. In vielen Fällen geschieht dies informell: Beim Mittagessen, in der Kaffeeküche oder in spontanen Videocalls. Das bedeutet jedoch nicht, dass Communities of Practice dem Zufall überlassen bleiben sollten. Gut gestaltete Communities of Practice benötigen Rahmenbedingungen, die ihre Entwicklung fördern.
Warum Communities of Practice Wissensmanagement revolutionieren
Im klassischen Wissensmanagement wird zwischen verschiedenen Wissensformen unterschieden: explizites Wissen, das sich dokumentieren lässt, und implizites Wissen, das stark an individuelle Erfahrungen, Kompetenzen und Intuitionen gebunden ist (Nonaka und Takeuchi 1995). Gerade das implizite Wissen ist für Organisationen besonders wertvoll, da es oft die Grundlage für Innovation, Kreativität und Problemlösung bildet. Allerdings ist es auch schwer greifbar.
Communities of Practice bieten hier eine Lösung. Sie machen implizites Wissen teilbar, ohne es notwendigerweise vollständig zu formalisieren. In der Praxis bedeutet das: Ein erfahrener Mitarbeiter erzählt einem neuen Kollegen nicht nur, wie eine Software funktioniert, sondern auch, warum sie auf eine bestimmte Art und Weise genutzt wird, welche Stolperfallen existieren und welche ungeschriebenen Regeln im Team gelten.
Darüber hinaus stärken Communities of Practice die organisationale Lernfähigkeit. Indem Menschen über Abteilungsgrenzen hinweg zusammenkommen, entstehen neue Perspektiven, innovative Lösungsansätze und ein stärkeres Wir-Gefühl. Wissen wird nicht nur bewahrt, sondern dynamisch weiterentwickelt. Gerade in Zeiten von Digitalisierung und Fachkräftemangel ist dies ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.
Die digitale Transformation und neue Formen von Communities of Practice
Mit der zunehmenden Digitalisierung haben sich auch die Formen von Communities of Practice verändert. Während sie früher stark an physische Nähe gebunden waren, entstehen heute virtuelle Communities über Plattformen wie Microsoft Teams, Slack oder Yammer. Auch soziale Netzwerke wie LinkedIn oder themenspezifische Foren spielen eine zunehmende Rolle.
Virtuelle Communities of Practice ermöglichen eine größere Reichweite, erleichtern die Teilnahme ortsunabhängig und erlauben es, Expertenwissen global zu vernetzen. Gleichzeitig stellen sie neue Anforderungen an Moderation, Partizipation und technische Infrastruktur. Entscheidend bleibt: Eine Community of Practice lebt von ihrer sozialen Dynamik. Technik ist hilfreich, aber kein Ersatz für persönliche Beziehungen, Vertrauen und gemeinschaftliches Lernen.
Erfolgsfaktoren für lebendige Communities of Practice
Damit Communities of Practice ihr Potenzial entfalten können, brauchen sie mehr als nur wohlwollende Absichten. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die ihren Erfolg maßgeblich beeinflussen. Dazu gehört die freiwillige Teilnahme. Niemand sollte gezwungen werden, Teil einer Community zu sein. Engagement entsteht durch echtes Interesse, nicht durch Pflichtzuweisungen.
Ein weiterer zentraler Faktor ist die Anerkennung der Community-Arbeit innerhalb der Organisation. Wenn Mitarbeitende Zeit in den Aufbau und die Pflege von Communities of Practice investieren, sollte dies sichtbar gemacht und wertgeschätzt werden. Auch die Rolle von Community-Moderatoren ist nicht zu unterschätzen. Sie strukturieren Prozesse, fördern die Partizipation und sorgen dafür, dass Diskussionen produktiv verlaufen.
Schließlich spielt die organisatorische Verankerung eine Rolle. Communities of Practice sollten nicht als isolierte Parallelwelten betrachtet werden, sondern in bestehende Wissens- und Lernstrategien integriert sein. Wenn das gelingt, können sie zu echten Innovationsmotoren werden.
Communities of Practice in kleinen und mittleren Unternehmen
Besonders für kleine und mittlere Unternehmen sind Communities of Practice ein vielversprechendes Instrument. Häufig sind hier keine großen Personalentwicklungsabteilungen vorhanden, auch formale Wissensmanagementsysteme fehlen. Dafür sind die Wege kurz, die Kommunikation direkter und die Strukturen oft flexibler. Communities of Practice können genau diese Eigenschaften nutzen, um mit einfachen Mitteln große Wirkung zu entfalten.
In der Praxis kann das bedeuten: Ein monatliches Austauschformat für Auszubildende, ein informeller Chatkanal für Projektleiterinnen oder eine Arbeitsgruppe für Digitalisierungsthemen. Entscheidend ist nicht das Label, sondern die gelebte Praxis des kollegialen Lernens und Teilens.
Communities of Practice als Antwort auf den demografischen Wandel
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der demografische Wandel. Viele Unternehmen stehen in den nächsten Jahren vor der Herausforderung, dass erfahrene Mitarbeitende in den Ruhestand gehen und ihr Wissen mitnehmen. Klassische Übergabedokumente reichen oft nicht aus, um dieses Erfahrungswissen zu bewahren.
Communities of Practice bieten die Möglichkeit, generationenübergreifendes Lernen zu ermöglichen. Wenn erfahrene Mitarbeitende ihre Geschichten, Fallbeispiele und Einschätzungen regelmäßig mit Jüngeren teilen, entsteht ein lebendiger Wissensfluss, der weit über das hinausgeht, was sich auf Papier festhalten lässt. Auch umgekehrt profitieren ältere Mitarbeitende von den neuen Perspektiven, Methoden und digitalen Kompetenzen der jüngeren Generation.
Die Rolle von Führung und Unternehmenskultur
Ob eine Community of Practice entsteht und gedeiht, hängt stark von der Unternehmenskultur ab. Eine offene Fehlerkultur, Vertrauen in die Mitarbeitenden und eine Führung, die Partizipation fördert, sind zentrale Voraussetzungen. Führungskräfte müssen Communities of Practice nicht selbst moderieren, aber sie sollten sie aktiv unterstützen, Zeitfenster dafür schaffen und deren Ergebnisse ernst nehmen.
Dabei gilt: Eine Community of Practice ist kein Projekt mit definiertem Enddatum, sondern ein fortlaufender Prozess. Ihre Wirkung entfaltet sich oft nicht in kurzfristigen Kennzahlen, sondern in langfristiger organisationaler Lernfähigkeit und Innovationskraft.
Was die Forschung sagt
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Communities of Practice ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Studien zeigen, dass gut etablierte Communities nicht nur das individuelle Wissen erweitern, sondern auch die organisationale Performance verbessern können (Wenger et al. 2002; Probst et al. 2006). Auch aus der Perspektive der Lernforschung gelten sie als effektive Form des informellen Lernens.
Zugleich betonen viele Autorinnen und Autoren, dass der Aufbau von Communities of Practice kein Selbstläufer ist. Sie brauchen Pflege, Unterstützung und eine Passung zur jeweiligen Organisationsstruktur. Auch die Gefahr der Abgrenzung, wenn Communities zu exklusiv werden oder sich vom restlichen Unternehmen abkoppeln, darf nicht unterschätzt werden.
Wie Eonar Sie beim Aufbau lebendiger Communities unterstützen kann
Bei Eonar haben wir uns auf modernes Wissensmanagement spezialisiert. Aus unserer Erfahrung in der Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen, Unternehmen und Bildungsträgern wissen wir: Communities of Practice sind ein zentraler Baustein, wenn es darum geht, Wissen nachhaltig zu verankern. Wir begleiten Organisationen dabei, bestehende informelle Netzwerke zu identifizieren, gezielt zu stärken und in strukturierte Communities of Practice zu überführen.
Dabei setzen wir auf einen partizipativen Ansatz: Gemeinsam mit Ihnen analysieren wir Ihre spezifischen Rahmenbedingungen, entwickeln passgenaue Formate und fördern die interne Moderationskompetenz. Unser Ziel ist es nicht, kurzfristige Lösungen zu liefern, sondern nachhaltige Lernkulturen zu etablieren.
Ob in Präsenz oder virtuell, ob im kleinen Team oder organisationsweit, Communities of Practice sind für uns kein theoretisches Konzept, sondern gelebte Praxis. Und genau dabei unterstützen wir Sie mit Expertise, Leidenschaft und erprobten Methoden.
Autor: Jana-Larissa Grzeszkowiak
Referenzen
Lave, J. und Wenger, E. (1991): Situated Learning: Legitimate Peripheral Participation, Cambridge University Press.
Nonaka, I. und Takeuchi, H. (1995): The Knowledge-Creating Company: How Japanese Companies Create the Dynamics of Innovation, Oxford University Press.
Probst, G., Raub, S. und Romhardt, K. (2006): Wissen managen: Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource optimal nutzen, Gabler Verlag.
Wenger, E., McDermott, R. und Snyder, W. (2002): Cultivating Communities of Practice: A Guide to Managing Knowledge, Harvard Business School Press.