Zwischen Informationsflut und Deutungshoheit
In einer Zeit, in der Informationen in Echtzeit global zugänglich sind, drängt sich eine fundamentale Frage immer stärker auf: Wem gehört das Wissen? Was früher in Bibliotheken bewahrt oder innerhalb von Fachkreisen geteilt wurde, steht heute theoretisch jedem offen. Die Digitalisierung hat unser Verhältnis zu Wissen tiefgreifend verändert: Daten lassen sich beliebig kopieren, verbreiten und transformieren. Doch nur weil es technisch möglich ist, stellt sich die ethische Frage: Ist das auch erlaubt? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für jene, die Wissen produzieren oder weitergeben?
Diese Fragen gehen über rein technische oder rechtliche Aspekte hinaus und sind tief in ethischen Fragestellungen verankert. Denn Wissen ist Macht, wie Michel Foucault (1980) eindrucksvoll erläuterte, und Macht ist niemals neutral.
Digitalisierung als ethische Herausforderung
Digitalisierung ist weit mehr als nur ein Mittel zur Effizienzsteigerung oder Automatisierung von Abläufen. Sie stellt eine kulturelle Revolution dar, die unser Lernen, Arbeiten und Kommunizieren grundlegend verändert. Vor diesem Hintergrund entstehen neue Fragen: Wer steuert die digitalen Wissensräume? Wer profitiert vom Zugang zu Informationen und wer bleibt ausgeschlossen?
Lawrence Lessig (2006) argumentiert, dass digitale Umgebungen nicht nur technisch, sondern auch rechtlich und normativ „programmiert“ sind. Der zugrunde liegende Code fungiert als politisches Instrument. Wer die digitale Infrastruktur kontrolliert, beeinflusst maßgeblich den Fluss und die Verfügbarkeit von Wissen.
Wissen ist nicht gleich Wissen
Um ethische Fragen im digitalen Wissensmanagement zu adressieren, muss zunächst geklärt werden, was unter Wissen verstanden wird. Der ungarisch-britische Philosoph Michael Polanyi (1966) unterscheidet zwischen explizitem und implizitem Wissen. Explizites Wissen lässt sich schriftlich fixieren, speichern und digital abbilden. Implizites Wissen hingegen ist verkörpert und es manifestiert sich in Fähigkeiten, Erfahrungen und Routinen.
Während explizites Wissen besonders von der Digitalisierung profitiert, wirft implizites Wissen die Frage auf, wie es bewahrt und weitergegeben werden kann. Hier wird deutlich, wie wichtig ethische Orientierung im Wissensmanagement ist.
Die Machtfrage: Wer darf Wissen besitzen?
Wissen war schon immer eng mit Macht verbunden. Foucault (1980) zeigte, dass Wissen Teil komplexer Machtstrukturen ist, die durch gesellschaftliche Normen, Institutionen und Diskurse geprägt werden. Im digitalen Raum verstärken sich diese Dynamiken. Betreiber von Plattformen, Datenunternehmen und Entwicklerinnen von Künstlicher Intelligenz entscheiden zunehmend darüber, was sichtbar wird und was im Verborgenen bleibt.
Hinzu kommt die Problematik des geistigen Eigentums. Wer digitalisierte Inhalte bereitstellt, ist häufig nicht identisch mit der ursprünglichen Urheberin oder dem Urheber. Zwischen Autorinnen, Institutionen, Verlagen, Plattformen und Nutzenden entstehen komplexe Spannungsfelder. Yochai Benkler (2006) schlägt in diesem Zusammenhang eine „Commons“-basierte Wissensökonomie vor, in der Wissen als kollektives Gut verstanden wird: ein Ansatz, der sowohl wirtschaftliche als auch ethische Perspektiven öffnet.
Urheberrecht versus Open Access
Ein zentrales Spannungsfeld im digitalen Wissensmanagement ist der Konflikt zwischen dem Schutz individueller Leistungen durch das Urheberrecht und der Forderung nach offenen Zugängen (Open Access). Das traditionelle Urheberrecht schützt kreative Leistungen, ist jedoch oft an analoge Formate gebunden und wenig flexibel. Deshalb gewinnen alternative Modelle wie Creative Commons, Open Science und freie Bildungsressourcen (Open Educational Resources, OER) zunehmend an Bedeutung.
Die UNESCO (2021) unterstreicht in ihren Open-Science-Empfehlungen, dass freier Zugang zu wissenschaftlichen Informationen nicht nur eine Frage der Effizienz, sondern auch der sozialen Gerechtigkeit ist. Gerade in globalen Krisenzeiten, etwa während der COVID-19-Pandemie oder angesichts des Klimawandels, zeigt sich, wie essenziell ein schneller und barrierefreier Zugang zu belastbarem Wissen ist.
Daten als neue Wissensform
Mit der Digitalisierung rückt eine neue Wissensform in den Fokus: Daten. Große Datenmengen, sogenanntes „Big Data“, werden gesammelt, verknüpft und algorithmisch ausgewertet. Daraus entstehen nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch erhebliche Risiken, etwa in Bezug auf Datenschutz, algorithmische Verzerrungen und Überwachung.
Die datengetriebene Wissensproduktion wirft daher neue ethische Fragen auf: Wer bestimmt, welche Daten relevant sind? Wer erhält Zugang? Und wie lassen sich Datensouveränität und Transparenz gewährleisten?
Die EU adressiert diese Herausforderungen aktuell im AI Act (European Parliament, 2024), der eine verantwortungsvolle Datenpraxis fördern will, die Innovation ermöglicht, ohne Grundrechte zu verletzen.
Wissen als Gemeingut?
Ein zukunftsweisender ethischer Ansatz sieht Wissen als Gemeingut (Commons). Das bedeutet, Wissen wird nicht exklusiv besessen, sondern gemeinsam gepflegt, genutzt und weiterentwickelt. Beispiele wie Wikipedia oder OpenStreetMap zeigen, dass dies funktionieren kann, vorausgesetzt, es gibt klare Regeln, gegenseitigen Respekt und transparente Prozesse.
Dieses Modell ist besonders relevant im Bildungs- und Forschungsbereich. Wenn Studierende, Forschende und Lehrende Wissen frei teilen, entsteht eine Kultur von Offenheit und Kooperation. Gleichzeitig müssen faire Anerkennungsmechanismen etabliert sein, damit individuelles Engagement gewürdigt wird und nicht ausgenutzt wird.
Wissen, Verantwortung und Vertrauen
Digitale Wissensräume funktionieren nur durch Vertrauen: in die Inhalte, in die Quellen und in die Menschen dahinter. In Zeiten von Deepfakes, Fake News und automatisierter Content-Erzeugung wird dieses Vertrauen jedoch zunehmend erschüttert. Dies stellt hohe ethische Anforderungen an alle Beteiligten: Plattformbetreiberinnen, Entwicklerinnen, Organisationen und auch die Nutzerinnen und Nutzer selbst.
Verantwortung bedeutet, Wissensprozesse transparent zu gestalten, Quellen offenzulegen und aktiv gegen Desinformation vorzugehen. Dies betrifft nicht nur journalistische oder wissenschaftliche Inhalte, sondern ebenso unternehmensinterne Wissensflüsse.
Ethik im organisationalen Wissensmanagement
Unternehmen stehen heute vor der Herausforderung, internes Wissen digital zu sichern und gleichzeitig offen genug zu bleiben, um innovativ zu bleiben. Dabei gilt es, ethische Fragen zu beachten: Wie wird Wissen intern geteilt? Wer erhält Zugriff auf sensible Informationen? Wie wird mit ausscheidendem Erfahrungswissen umgegangen?
Organisationen, die Wissen als strategische Ressource begreifen, benötigen nicht nur technische Lösungen, sondern auch ethische Leitlinien und eine vertrauensfördernde Unternehmenskultur. Nur so lässt sich ein nachhaltiges und widerstandsfähiges Wissensmanagement etablieren.
Was kann Eonar tun?
Genau hier setzt die Eonar GmbH an. Wir unterstützen Unternehmen nicht nur dabei, ihr Wissen systematisch zu erfassen und zugänglich zu machen – wir tun dies auf Basis ethischer Prinzipien. Unsere digitalen Wissensmanagementlösungen fördern Fairness, Transparenz und Nachhaltigkeit.
Wir sind überzeugt, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit Wissen die Basis für Innovation, Lernfähigkeit und Resilienz bildet. Deshalb entwickeln wir nicht nur technische Plattformen, sondern beraten auch strategisch: von der Implementierung ethischer Wissensstrategien bis zur Förderung offener Lernkulturen im Unternehmen.
Unser Ziel ist es, Menschen, Prozesse und Technologien so zu verbinden, dass Wissen nicht nur gespeichert, sondern wertgeschätzt und kontinuierlich weiterentwickelt wird.
Referenzen
Benkler, Y. (2006) The wealth of networks: How social production transforms markets and freedom. Yale University Press, New Haven, CT.
Borgman, C.L. (2007) Scholarship in the digital age: Information, infrastructure, and the internet. MIT Press, Cambridge, MA.
European Parliament (2024) Artificial Intelligence Act: EU regulation on AI. Available at: https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document/EPRS_BRI(2024)751410 (Accessed: 8 June 2025).
Foucault, M. (1980) Power/knowledge: Selected interviews and other writings 1972–1977. Edited by C. Gordon. Pantheon Books, New York, NY.
Lessig, L. (2006) Code: Version 2.0. Basic Books, New York, NY.
Polanyi, M. (1966) The tacit dimension. Doubleday, Garden City, NY.
UNESCO (2021) UNESCO Recommendation on Open Science. Paris: United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization. Available at: https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000379949 (Accessed: 8 June 2025).
Autorin: Jana-Larissa Grzeszkowiak