„…
Ever tried.
Ever failed.
No matter.
Try again.
Fail again.
Fail better.
…“
Aus „Worseward Ho“ von Samuel Beckett
Fehler gehören zum Menschsein dazu und sind damit auch im beruflichen Alltag und in organisationalen Prozessen unausweichlich. Was auf den ersten Blick wie ein Rückschritt wirkt, kann sich jedoch als bedeutende Quelle für Entwicklung und Innovationskraft entpuppen. Unternehmen, die ihre Fehler nicht verdrängen, sondern sie gezielt analysieren und daraus lernen, sind in der Lage, sich kontinuierlich zu verbessern, Krisen besser zu bewältigen und Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Doch was braucht es, damit dieser Lernprozess tatsächlich gelingt? Und warum fällt es vielen Organisationen so schwer, eine gesunde Fehlerkultur zu etablieren?
Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist besonders relevant in einer Welt, die von Komplexität, technologischen Umbrüchen und zunehmender Unvorhersehbarkeit geprägt ist.
Fehler als Anstoß für Lernprozesse
Schon Chris Argyris (1999) betonte, dass Lernen in Organisationen nicht nur durch gelungene Handlungen entsteht, sondern besonders dann, wenn bestehende Denkweisen und Routinen hinterfragt werden. Fehler können genau diesen Anstoß geben. In seinem Konzept des „Double-Loop Learning“ beschreibt er einen Lernprozess, bei dem nicht nur einzelne Handlungen angepasst werden, sondern auch die dahinterliegenden Annahmen und Werte auf den Prüfstand kommen. Fehler helfen Organisationen so, über den Tellerrand bestehender Handlungsmuster hinauszublicken.
Psychologische Sicherheit als Nährboden für Lernen
Ein entscheidender Faktor für erfolgreiches organisationales Lernen ist ein Arbeitsumfeld, in dem Mitarbeitende ohne Angst vor negativen Konsequenzen auf Probleme oder eigene Fehltritte hinweisen können. Amy Edmondson (1999) entwickelte hierfür das Konzept der psychologischen Sicherheit. Ihre Forschung zeigt: In Teams, in denen eine offene Kommunikation herrscht und niemand befürchten muss, sich mit Kritik oder Eingeständnissen zu schaden, entstehen bessere Lern- und Innovationsprozesse.
Führungskräfte spielen bei der Schaffung eines solchen Klimas eine Schlüsselrolle. Sie sollten nicht nur mit gutem Beispiel vorangehen und selbst Fehler offen ansprechen, sondern aktiv ein Umfeld fördern, in dem Offenheit und gegenseitiges Vertrauen als Selbstverständlichkeit gelten (Edmondson, 2018).
Strukturiertes Fehlermanagement als Erfolgsfaktor
Damit Organisationen aus Fehlern systematisch Erkenntnisse ziehen können, reicht eine offene Kultur allein nicht aus. Es bedarf klar definierter Prozesse, um gemachte Erfahrungen zu dokumentieren, Ursachen zu analysieren und wirksame Maßnahmen daraus abzuleiten. In vielen sicherheitskritischen Branchen, wie etwa der Luftfahrt oder der Medizin, sind Fehlerberichtssysteme längst etabliert und ermöglichen es, auch Beinahefehler zu erfassen und auszuwerten.
Bewährte Methoden wie die Fehlerbaum-Analyse oder die Ursachenanalyse nach dem Root-Cause-Prinzip helfen dabei, komplexe Zusammenhänge zu durchleuchten und strukturelle Schwachstellen zu identifizieren. James Reason (1990) argumentiert in seinem Werk, dass die meisten Fehler nicht durch individuelles Fehlverhalten entstehen, sondern in einem fehleranfälligen Systemumfeld wurzeln. Erst ein systemischer Blick ermöglicht es, wiederkehrende Probleme dauerhaft zu beheben.
Von Fehlversuchen zur Innovation
Fehler und Innovationskraft sind eng miteinander verknüpft. Wer Neues wagt, betritt naturgemäß unbekanntes Terrain und stößt dabei fast zwangsläufig auf Hindernisse und Rückschläge. Clayton Christensen (1997) beschreibt in seinem Buch „The Innovator’s Dilemma“, wie gerade erfolgreiche Unternehmen oft daran scheitern, sich weiterzuentwickeln, weil sie neue Ideen zu früh verwerfen oder gar nicht erst ausprobieren. Innovation braucht deshalb auch eine gewisse Fehlertoleranz.
Insbesondere agile Unternehmen und Start-ups leben diese Erkenntnis, indem sie Prototypen entwickeln, schnell testen, daraus lernen und iterativ verbessern. Fehler sind hier kein Zeichen von Scheitern, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil des Lern- und Entwicklungsprozesses. In gewisser Weise ähneln diese Prozesse der Evolution: Nur wer viele Varianten zulässt, hat die Chance, neue und bessere Lösungen zu entdecken (Kahneman et al., 2021).
Lernen auf Organisationsebene
Ein häufiger Stolperstein im Fehlermanagement besteht darin, dass aus individuellen Fehlern keine kollektiven Lehren gezogen werden. Erkenntnisse bleiben isoliert oder versanden im Projektarchiv. Damit das nicht passiert, braucht es institutionalisierte Lernstrukturen, die das Wissen aus Fehlern über Abteilungs- und Hierarchiegrenzen hinweg verfügbar machen.
Hilfreich sind digitale Wissensplattformen, Dokumentationssysteme und regelmäßige Austauschformate, die sicherstellen, dass relevante Learnings dauerhaft in die Organisation integriert werden. Doch auch die beste technische Infrastruktur bleibt wirkungslos, wenn das Mindset fehlt, aus Fehlern wirklich lernen zu wollen.
Warum Fehlerkultur häufig an Grenzen stößt
Trotz aller Erkenntnisse und Initiativen fällt es vielen Organisationen schwer, eine konstruktive Fehlerkultur dauerhaft zu etablieren. Die Gründe sind vielfältig: tief verwurzelte Hierarchien, Angst vor Gesichtsverlust, fehlende Zeit für Reflexion und nicht selten eine Unternehmenskultur, die Fehler als Schwäche interpretiert.
Hinzu kommt, dass in vielen Fällen zwar eine Analyse erfolgt, aber keine konsequente Umsetzung der daraus resultierenden Maßnahmen. Lernen bleibt so auf halbem Weg stehen. Um das zu vermeiden, braucht es nicht nur Strukturen und Tools, sondern vor allem Konsequenz, Führungskompetenz und einen bewussten Kulturwandel.
Konkrete Maßnahmen zur Förderung von Lernprozessen
Viele Unternehmen fragen sich, wie sie die Voraussetzungen für echtes Lernen aus Fehlern schaffen können. Folgende Ansätze haben sich in der Praxis bewährt:
- Fehlergespräche im Teamalltag: Regelmäßige Reflexionsrunden, in denen über Missgeschicke offen gesprochen wird, schaffen Raum für gemeinsames Lernen.
- Belohnung von Lernmut: Einige Organisationen vergeben Preise für mutige Versuche, die nicht erfolgreich waren, aber wichtige Erkenntnisse geliefert haben.
- Niedrigschwellige Meldesysteme: Ob digital oder analog: einfache Wege zur Fehlermeldung erhöhen die Bereitschaft, Probleme sichtbar zu machen.
- Offenes Erzählen von Fehlern: Führungspersonen, die über eigene Fehlentscheidungen sprechen, signalisieren: Lernen ist wichtiger als Perfektion.
Digitale Transformation: Fehler neu denken
Mit der zunehmenden Integration von KI und datengetriebenen Systemen in Unternehmensprozesse entsteht eine neue Dimension des Fehlermanagements. Algorithmen basieren auf Daten und diese sind niemals vollkommen. Daraus ergibt sich, dass auch Entscheidungen von KI-Systemen fehlerbehaftet sein können. Organisationen stehen daher vor der Aufgabe, nicht nur menschliche, sondern auch maschinelle Fehler zu identifizieren, zu bewerten und zu korrigieren (Binns, 2018).
Gleichzeitig eröffnen KI-Technologien neue Möglichkeiten für vorausschauendes Fehlermanagement. Durch intelligente Mustererkennung, Prozessanalytik und automatisiertes Monitoring können Fehlerquellen frühzeitig erkannt und Lernprozesse systematisiert werden.
Fazit: Fehler als Fundament für eine lernende Organisation
Fehler sind unvermeidlich. Doch das eigentliche Risiko liegt nicht im Fehler selbst, sondern darin, ihn zu ignorieren oder zu wiederholen. Organisationen, die Fehler als Anlass für Weiterentwicklung begreifen, schaffen es, flexibel zu bleiben, sich an neue Bedingungen anzupassen und langfristig erfolgreich zu sein.
Es geht nicht darum, Fehler zu glorifizieren oder bewusst zu riskieren. Vielmehr braucht es eine professionelle und reflektierte Haltung, die Missgeschicke als natürlichen Bestandteil des Fortschritts anerkennt und systematisch nutzt, um daraus zu lernen.
Was wir bei der Eonar dazu beitragen
Bei Eonar verfolgen wir einen integrativen Ansatz im digitalen Wissensmanagement. Unsere Systeme helfen Unternehmen dabei, Erfahrungen, auch solche aus Fehlern, strukturiert zu erfassen, auszuwerten und nachhaltig nutzbar zu machen. Wir wissen, dass echte Lernprozesse mehr benötigen als Technik – nämlich die richtige Kultur, Methodik und Begleitung. Deshalb entwickeln wir mit unseren Kunden maßgeschneiderte Lösungen, die sowohl technologisch als auch kulturell anschlussfähig sind. Mit unserer Expertise im Bereich KI, Wissensarchitektur und Change Management unterstützen wir Organisationen dabei, aus Erfahrungen zu lernen und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Denn aus Fehlern entsteht Zukunft, wenn man sie richtig nutzt.

Referenzen
Argyris, C. (1999). On Organizational Learning. Oxford: Blackwell Publishers.
Binns, R. (2018). Algorithmic Accountability and Public Reason. Philosophy & Technology, 31(4), 543–556.
Christensen, C. M. (1997). The Innovator’s Dilemma: When New Technologies Cause Great Firms to Fail. Boston: Harvard Business School Press.
Edmondson, A. C. (1999). Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams. Administrative Science Quarterly, 44(2), 350–383.
Edmondson, A. C. (2018). The Fearless Organization: Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth. Hoboken: Wiley.
Kahneman, D., Sibony, O. and Sunstein, C. R. (2021). Noise: A Flaw in Human Judgment. New York: Little, Brown Spark.
Nembhard, I. M. and Edmondson, A. C. (2006). Making It Safe: The Effects of Leader Inclusiveness and Professional Status on Psychological Safety and Improvement Efforts in Health Care Teams. Journal of Organizational Behavior, 27(7), 941–966.
Reason, J. (1990). Human Error. Cambridge: Cambridge University Press.
Autorin: Jana-Larissa Grzeszkowiak