- 28. Juli 2025
- Dr. Lucien André
Digitalisierung im Startup:
Was braucht man wirklich und wo verbrennt man nur Geld?
Kürzlich sprach mich auf einer Veranstaltung für Startups ein Gründer an, seine zentrale Frage:
„Wie stelle ich mich als Startup richtig für die Digitalisierung auf? Welche Software brauche ich wirklich und wo verbrenne ich nur Geld?“
Eine berechtigte Frage. Und eine, auf die es keine allgemeingültige Antwort gibt. Gerade in der Gründungsphase ist die Versuchung groß, sich zu digital „überrüsten“, gleichzeitig darf man aber auch nicht den Anschluss verlieren. Es braucht eine pragmatische, wachstumsorientierte Herangehensweise.
Auch wenn wir uns bei Eonar heute primär auf den Mittelstand konzentrieren, liegt unsere eigene Gründung noch nicht lange zurück, ebenso wie die zweite Gründung von Dr. Lucien André Reuter NovoSign im Bereich Digital Signage. Diese Erfahrung möchten wir teilen, nicht als Patentrezept, sondern als Orientierungshilfe.
Orientierung im Digitaldschungel:
Hilfe gibt es genug
Bevor man sich in Tools und Plattformen verliert, hilft der Blick nach außen: In Deutschland gibt es ein breites Angebot an kostenfreier oder geförderter Unterstützung für Gründer:innen:
Universitäten und Hochschulen bieten oft Gründungsberatung, Inkubatoren oder Labs an.
IHKs begleiten Gründer mit Beratung, Netzwerken und teilweise auch Digitalisierungsprogrammen.
Gründerzentren wie das Hub31 in Darmstadt bieten Infrastruktur, Netzwerke und Know-how.
Verbände wie Hessenmetall oder branchenspezifische Cluster können ebenfalls wertvolle Anlaufstellen sein.
Diese Netzwerke helfen nicht nur fachlich, sondern schützen auch vor Fehlentscheidungen in frühen Phasen.
Was braucht man wirklich zum Start?
Geschäftliche Infrastruktur
Komponente | Empfehlung |
---|---|
Adresse | Eigenes Büro, Homeoffice oder Coworking (ggf. mit Postdienst & Empfang) |
Telefonnummer | Nicht die private Nummer. Besser: Business-Vertrag mit Weiterleitungsoption |
E-Mail & Domain | Unbedingt eigene Domain + professionelle Mailadressen |
Website | Muss nicht teuer sein – aber professionell, klar und mobilfähig |
Praxisbeispiel Eonar:
Wir haben zum Start auf Ionos gesetzt ein kleiner Webspace, einfache Mail-Postfächer. Später sind wir auf Microsoft 365 umgestiegen, u. a. wegen Teams, Exchange, OneNote, Word/Excel, Power Automate u. a.
Kommunikation & Zusammenarbeit:
Besser jetzt gut aufstellen
Viele unterschätzen, wie früh sich eine gute interne Organisation auszahlt – auch wenn man noch alleine oder im kleinen Team startet.
Empfehlungen:
Microsoft Teams: Für Chats, Besprechungen, einfache Organisation – selbst im Zweierteam sinnvoll.
OneNote: Als zentrales Wissens- und Dokumentationssystem.
Microsoft Planner / To Do: Für Aufgabenverteilung, vor allem bei verteilten Teams.
Power Automate / Power Apps: Automatisierung auch ohne Programmierung möglich – z. B. für Zeiterfassung, Urlaubsanträge etc.
Tipp: Microsoft 365 Lizenzen für Startups gibt es oft zu Sonderkonditionen oder sogar bis zu 1. Jahr Kostenlos.
Und was ist mit
CRM, ERP, CMS, LMS & Co.?
Hier beginnt häufig die Geldverbrennung – nicht weil die Tools schlecht wären, sondern weil sie zu früh, zu komplex oder schlicht überdimensioniert eingesetzt werden.
Was ist was?
Kürzel | Bedeutung | Wann relevant? | Beispiele |
---|---|---|---|
CRM | Customer Relationship Management | Ab ersten Kundenkontakten sinnvoll | HubSpot, Pipedrive, Dynamics 365 |
ERP | Enterprise Resource Planning | Wenn Prozesse zusammenlaufen (Produktion, Lager, Buchhaltung) | lexoffice, sevDesk, SAP Business One |
CMS | Content Management System | Für gepflegte Websites / Blogs | WordPress, Webflow, Typo3 |
LMS | Learning Management System | Bei digitalen Schulungen / Onboarding / Schulungsangeboten | Moodle, TalentLMS, Thinkific |
Empfehlung: Prozesse erst denken, dann testen, dann digitalisieren. Nicht umgekehrt.
Unser Rat:
Iterativ denken, pragmatisch handeln
Digitalisierung ist kein „Big Bang“, sondern ein Weg. Wer als Startup frühzeitig gute Grundlagen legt, kann später gezielt aufbauen ohne altlasten.
Drei Leitfragen:
Was ist mein Produkt / Geschäftsmodell?
Wie will ich in 12 Monaten arbeiten – und mit wem?
Wo will ich Zeit sparen, Qualität sichern oder skalieren?
Wenn darauf klare Antworten vorliegen, ergibt sich die passende Softwarelandschaft meist von selbst.
Was bedeutet das Konkret?
Tipp: Baue dir in ein „Digitales Betriebssystem“ mit drei Ebenen und dokumentiere es vom ersten Tag an.
Ebene 1: Operativer Stack „Was nutzen wir heute?“
Erstelle eine Übersicht (Excel/Notion/OneNote), die festhält:
- Welche Tools werden eingesetzt?
- Wer hat Zugriff?
- Wofür wird das Tool genutzt?
- Was kostet es monatlich?
Vorteil: Früher Überblick über redundante Tools, rechtliche Risiken (Zugriffskontrolle), Wachstumslücken.
Ebene 2: Strategischer Stack „Was brauchen wir in 6–12 Monaten?“
Lege bewusst fest:
- Welche Systeme sollten langfristig integriert sein (CRM, ERP, CMS, DMS)?
- Wo entstehen mittelfristig Prozesse, die man digital abbilden will? (Nicht alles was man digital abbilden kann, muss auch abbgebildet werden!)
- Welche Daten entstehen heute, die morgen entscheidend sein könnten (z. B. Kundenkontakte, Angebote, Supportanfragen)?
Vorteil: Du bereitest Skalierung vor, ohne dich zu überladen. Gleichzeitig kannst du gezielt Anforderungen sammeln, anstatt mit einer Standardlösung zu starten, die nach 12 Monaten nicht mehr passt.
Ebene 3: Automatisierungspotenzial „Was ist heute noch manuell, aber wiederholt sich?“
Starte eine Liste (z. B. in Excel oder Google Sheets):
- Was mache ich mehr als 2x pro Woche manuell?
- Wo arbeite ich mit Copy & Paste?
- Was erzeugt unnötige Rückfragen oder Fehler?
Beispielhafte Kandidaten:
- E-Mail-Versand bei neuer Anfrage
- Angebotsvorbereitung (immer dieselbe Struktur)
- Rechnungserstellung mit wiederkehrenden Positionen (Thema E-Rechnung im Auge behalten!)
- Erinnerungen an Deadlines oder Termine
Vorteil: Du baust eine echte Grundlage für den Einsatz von Tools wie Power Automate oder Make.com auf und sobald es wirtschaftlich sinnvoll ist kannst du diese nutzen.
Und jetzt der eigentliche Mehrwert:
Lege alle drei Ebenen als „Digital Operating Manual“ in OneNote oder Notion an und teile es mit Mitgründer:innen, VA, Co-Founder, etc.
Das hat drei enorme Vorteile:
- Skalierbarkeit: Neue Teammitglieder verstehen sofort, wie gearbeitet wird.
- Governance: Du hast im Blick, wer was nutzt, bezahlt oder verantwortet, sowie die Kosten.
- Digitale Reife: Wenn du mit Investoren, Partnern oder Förderprogrammen sprichst, kannst du zeigen, dass du nicht nur ein Produkt, sondern ein skalierbares System baust.
Fazit:
Digitalisierung ist kein Toolkauf
Wer Digitalisierung auf Software reduziert, springt zu kurz. Digitalisierung beginnt mit Klarheit über das eigene Geschäftsmodell, über interne Abläufe und über Wachstumsperspektiven. Tools können das unterstützen aber nur, wenn sie im richtigen Moment kommen.
Wer tiefer einsteigen möchte, dem empfehle ich unseren Beitrag „9-Schritte zur Digitalisierung “. Darin haben wir unsere erprobte Vorgehensweise für den Mittelstand strukturiert aufbereitet, inklusive konkreter Hinweise und Empfehlungen zu jedem einzelnen Schritt.