Die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) schreiten rasant voran. Systeme, die Texte erzeugen, Daten analysieren oder Entscheidungsprozesse unterstützen, sind aus vielen Bereichen nicht mehr wegzudenken. Auch im Bildungswesen hat KI längst Einzug gehalten: In Form digitaler Assistenten, automatisierter Bewertungstools oder adaptiver Lernplattformen verändert sie, wie Wissen vermittelt wird.
Doch trotz ihrer beeindruckenden Fähigkeiten stellt sich eine grundlegende Frage: Kann KI den Menschen im Bildungs- und Wissensmanagement vollständig ablösen?
Die klare Antwort lautet: Nein. Und die Begründung dafür liegt in der Tiefe und Komplexität menschlicher Bildungsprozesse, die weit über das bloße Verarbeiten und Übermitteln von Informationen hinausgehen. Bildung berührt Identität, Kultur, Emotion, Beziehung und Reflexion und genau diese Dimensionen sind bisher nicht algorithmisch reproduzierbar.
Bildung ist mehr als der Zugang zu Information
Lernen bedeutet nicht, Informationen wie Dateien herunterzuladen. Vielmehr handelt es sich um einen facettenreichen Vorgang, bei dem Menschen Erfahrungen einordnen, Fähigkeiten entwickeln und Wissen in sozialen und kulturellen Kontexten verankern. Dieser Ansatz wurde bereits von Argyris und Schön (1978) herausgearbeitet, die Lernen in Organisationen als aktives, handlungsbezogenes Geschehen beschreiben.
Während KI durchaus in der Lage ist, Inhalte zu strukturieren oder aufzubereiten, fehlt ihr das Verständnis für deren Bedeutung im jeweiligen Anwendungskontext. Wissen ist nie neutral; es ist stets in kulturelle und soziale Gefüge eingebettet (Brown, Collins & Duguid 1989). Ein Wissenstransfer, der diese Faktoren ignoriert, bleibt an der Oberfläche.
Lernen lebt vom Miteinander
Zentral für erfolgreiche Lernprozesse ist der zwischenmenschliche Austausch. Menschen lernen durch Fragen, Diskussionen, gemeinsames Ausprobieren, durch Konflikte und Perspektivwechsel. Lev Vygotsky betonte bereits früh, dass Lernen in sozialen Interaktionen verankert ist, insbesondere dann, wenn Lernende durch erfahrene Personen angeleitet werden (Vygotsky 1978).
Selbst die besten KI-Systeme können zwar interaktive Elemente simulieren, jedoch fehlt ihnen echte Empathie, situatives Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, auf nonverbale Signale zu reagieren. Studien zeigen, dass der Aufbau vertrauensvoller Beziehungen eine entscheidende Rolle für Lernerfolg spielt (Chan & Tsi 2023). Genau diese Art von Beziehung ist für KI derzeit nicht erreichbar.
Kontext und Unternehmenskultur als blinde Flecken der KI
Wissensmanagement funktioniert nicht unabhängig vom Umfeld. Unternehmen agieren in spezifischen kulturellen Rahmenbedingungen, die sich nicht ohne Weiteres digitalisieren lassen. Edgar Schein (1992) beschreibt Unternehmenskultur als die Gesamtheit der tief verankerten Überzeugungen und Handlungsroutinen, die in Organisationen wirksam sind, oft unbewusst.
KI kann zwar Datenmuster erkennen, doch sie bleibt blind für informelle Strukturen, implizite Regeln oder kulturelle Zwischentöne. Gerade bei der Einführung neuer Wissensprozesse oder in der interkulturellen Zusammenarbeit braucht es Feingefühl und Erfahrung. Eigenschaften, die derzeit ausschließlich menschliche Akteure einbringen können (Floridi et al. 2018).
Bildung als ganzheitlicher Entwicklungsprozess
Bildung betrifft nicht nur den Erwerb von Fachwissen. Sie zielt auf Persönlichkeitsentwicklung, Werteorientierung und gesellschaftliche Teilhabe. In diesem Sinne ist Bildung ein ganzheitlicher Prozess, der emotionale, soziale und ethische Komponenten umfasst. KI kann diesen Prozess unterstützen, aber nicht eigenständig steuern.
Gerade in der aktuellen Debatte über den Einsatz generativer KI in Schulen und Hochschulen zeigt sich die Notwendigkeit, nicht nur Inhalte zu vermitteln, sondern Reflexionsfähigkeit und Medienkompetenz zu fördern. Die Herausforderung liegt darin, KI so einzusetzen, dass sie kritisches Denken anregt und nicht ersetzt. Wie ein Beitrag im Magazin Time es treffend formuliert: „AI will not make education irrelevant or replace humans. But we might replace ourselves if we forget how to think independently“ (Time 2025).
KI als Assistenzsystem – nicht als Ersatz
Die sinnvollste Rolle für KI in der Bildung ist die einer unterstützenden Technologie. Sie kann Lehrende entlasten, etwa bei der Analyse von Lerndaten, der Erstellung personalisierter Lernpfade oder der Bereitstellung von Wiederholungsinhalten. Doch die pädagogische Kernarbeit, das Fördern, Begleiten und Inspirieren, bleibt in menschlicher Hand.
Das Konzept des „Human Guided Learning Ecosystem“ geht genau diesen Weg: Es nutzt die Stärken beider Seiten, um Lernumgebungen zu schaffen, die effizient, aber auch empathisch und anpassungsfähig sind (Luckin 2020). KI ergänzt den Menschen, aber ersetzt ihn nicht, vor allem nicht in Fragen der Beziehungsgestaltung und ethischen Orientierung.
Perspektiven für eine kooperative Zukunft
Laut einer aktuellen Studie des World Economic Forum (2025) liegt die Zukunft des Lernens in hybriden Modellen, bei denen KI-Systeme unterstützend wirken und gleichzeitig menschliche Expertise aktiv eingebunden bleibt. In diesen Modellen übernimmt KI die Routine, der Mensch aber bleibt verantwortlich für Reflexion, Interpretation und Entscheidung (World Economic Forum 2025).
Diese Zusammenarbeit kann Bildungsprozesse sogar verbessern, vorausgesetzt, sie wird verantwortungsvoll und bewusst gestaltet. Lehrkräfte werden nicht überflüssig, sondern können sich stärker auf das konzentrieren, was automatisierte Systeme nicht leisten: persönliche Entwicklung zu begleiten.
Fazit: Menschliche Bildung ist nicht automatisierbar
Die zentrale Erkenntnis: Bildungs- und Wissensmanagement funktionieren dann am besten, wenn sie auf menschlicher Interaktion, kulturellem Verständnis und empathischer Kommunikation beruhen. KI ist zweifellos ein nützliches Werkzeug. Doch ein Werkzeug bleibt stets nur so gut wie der Mensch, der es nutzt.
Die Herausforderung liegt nicht darin, KI aus der Bildung fernzuhalten, sondern sie gezielt und sinnvoll zu integrieren. Dabei dürfen wir nie vergessen, dass Bildung mehr ist als Datenverarbeitung. Es geht um Sinn, um Werte, um Orientierung und damit um etwas zutiefst Menschliches.
Was wir bei Eonar dazu beitragen
Als Eonar GmbH sind wir überzeugt davon, dass die Zukunft des Lernens in der klugen Verbindung von Mensch und Technologie liegt. Wir gestalten Lernprozesse so, dass digitale Systeme sinnvoll eingebunden werden, ohne die zentrale Rolle menschlicher Interaktion zu verdrängen.
Unser Ansatz verbindet wissenschaftlich fundiertes Wissen mit praktischer Umsetzungskompetenz. Wir entwickeln Lern- und Wissensarchitekturen, die kulturelle Passung, individuelle Bedürfnisse und technologische Möglichkeiten gleichermaßen berücksichtigen. So schaffen wir Räume, in denen Lernen lebendig, effektiv und menschlich bleibt – auch im digitalen Zeitalter.
Referenzen
Argyris, C. und Schön, D. A. (1978) Organizational Learning: A Theory of Action Perspective. Reading, MA: Addison-Wesley.
Brown, J. S., Collins, A. und Duguid, P. (1989) ‘Situated Cognition and the Culture of Learning’, Educational Researcher, 18(1), S. 32–42.
Chan, C. K. Y. und Tsi, L. H. Y. (2023) ‘The AI Revolution in Education: Will AI Replace or Assist Teachers in Higher Education?’, arXiv preprint, arXiv:2305.01185.
Floridi, L., Cowls, J., Beltrametti, M. et al. (2018) ‘AI4People—An Ethical Framework for a Good AI Society’, Minds and Machines, 28(4), S. 689–707.
Luckin, R. (2020) AI for Education: The Learning Revolution. London: Pearson.
Schein, E. H. (1992) Organizational Culture and Leadership. San Francisco: Jossey-Bass.
Time (2025) ‘AI Can’t Replace Education—Unless We Let It’, Time Magazine, 7. Juni 2025. Verfügbar unter: https://time.com
Vygotsky, L. S. (1978) ‘Interaction between Learning and Development’. In Gauvain, M. und Cole, M. (Hrsg.), Readings on the Development of Children, New York: Scientific American Books, S. 22–27.
World Economic Forum (2025) ‘How AI and human teachers can collaborate to transform education’, weforum.org, 5. Januar 2025. Verfügbar unter: https://www.weforum.org
Autorin: Jana-Larissa Grzeszkowiak