Warum wir vergessen – und wie wir das Wissen trotzdem behalten können
Ob berufliches Training, Weiterbildungsseminar oder ein aufschlussreicher Artikel: die anfängliche Begeisterung über neu erlangtes Wissen ist oft groß. Doch schon nach wenigen Tagen scheint das meiste davon verflogen. Was bleibt, ist meist nur ein vages Gefühl, dass „etwas Interessantes dabei war“. Der konkrete Inhalt? Meist schon wieder verschwunden.
Dieses Phänomen ist keineswegs ungewöhnlich, im Gegenteil: Es folgt einem natürlichen, gut dokumentierten Muster, das als Vergessenskurve bekannt ist. Diese beschreibt den typischen Verlauf unserer Erinnerungsleistung nach dem Lernen: Anfangs hoch, sinkt sie rapide innerhalb kurzer Zeit, sofern nichts dagegen unternommen wird.
Diese Erkenntnis ist nicht nur für Lehrkräfte oder Trainer:innen relevant, sondern betrifft alle Organisationen, die auf Wissen, Kompetenz und ständige Weiterentwicklung bauen. Denn nur wer nachhaltig lernt, kann dauerhaft erfolgreich handeln.
Eine Kurve macht Geschichte: Der Ursprung der Gedächtnisforschung
Die wissenschaftliche Grundlage für dieses Wissen legte der Psychologe Hermann Ebbinghaus bereits im Jahr 1885. Durch systematische Selbstversuche dokumentierte er, wie schnell Informationen ohne gezielte Wiederholung aus dem Gedächtnis verschwinden (Ebbinghaus, 1885). Dabei verwendete er bewusst sinnfreie Silben, um Störeinflüsse durch Bedeutung zu vermeiden und zeichnete akribisch auf, wie schnell er diese nach dem Lernen wieder vergaß.
Sein Fazit: Innerhalb der ersten Stunde nach dem Lernen geht etwa die Hälfte des Gelernten verloren. Nach einem Tag sind es bereits rund 70 %, und nach einer Woche bleibt kaum mehr als ein Fünftel im Gedächtnis.
Diese Erkenntnisse wurden später unter dem Begriff Vergessenskurve populär und dienen bis heute als Referenz in der Gedächtnispsychologie.
Vergessenskurve nach Ebbinghaus

(Quelle: NeuroNation 2025)
Neue Perspektiven auf das Vergessen: Wie sich die Forschung weiterentwickelt hat
In den Jahrzehnten nach Ebbinghaus haben zahlreiche Wissenschaftler:innen seine Arbeiten aufgegriffen und erweitert. Besonders einflussreich war dabei Arthur Melton, der in den 1960er-Jahren aufzeigte, dass der Gedächtnisverlust nicht linear, sondern exponentiell verläuft (Melton, 1963). Das bedeutet: Am Anfang vergessen wir besonders schnell, später verlangsamt sich der Gedächtnisabbau deutlich.
Diese Erkenntnis hat wichtige praktische Konsequenzen: Sie legt nahe, dass gezielte Wiederholungen besonders effektiv sind, wenn sie frühzeitig erfolgen. Also genau dann, wenn das Wissen gerade dabei ist, zu verblassen.
Noch detaillierter wird dieser Zusammenhang in aktuellen Studien untersucht. So zeigt etwa die Arbeit von Cepeda et al. (2006), dass es ideale Zeitfenster für Wiederholungen gibt. Der sogenannte Spacing-Effekt beschreibt, dass verteiltes Wiederholen, mit zunehmenden Abständen, das Langzeitgedächtnis besonders gut stärkt.
Wiederholung wirkt – aber nur richtig eingesetzt
Dass Wiederholung den Lerneffekt steigert, ist eine Binsenweisheit. Doch moderne Lernforschung differenziert genau: Es kommt auf das Timing, die Abstände und die Kontexte der Wiederholung an. Einfach nur dieselben Inhalte ständig zu wiederholen, bringt wenig, entscheidend ist, wann und wie der Stoff erneut auftaucht.
Programme, die nach dem Prinzip der verteilten Wiederholung arbeiten, wie etwa Anki oder Phase6, machen sich diesen Mechanismus zunutze. Sie fragen Lerninhalte gezielt dann ab, wenn das Erinnerte gerade wieder zu verschwinden droht und stärken damit gezielt die neuronalen Verbindungen im Gehirn.
Effekt der Wiederholung auf die Vergessenskurve

(Quelle: Phase6 2025)
Langfristig kann dieses Vorgehen erstaunliche Ergebnisse liefern: Während ohne Wiederholung nach einem Monat oft kaum noch Erinnerungen bestehen, lassen sich durch gezielte Wiederholungsstrategien Erinnerungsquoten von über 90 % erreichen.
Vergessenskurve trifft Unternehmen: Warum das Thema für Organisationen so wichtig ist
In Zeiten von Fachkräftemangel, Digitalisierung und Innovationsdruck ist kontinuierliches Lernen längst kein „Nice-to-have“ mehr, sondern ein strategischer Erfolgsfaktor. Doch viele Unternehmen investieren in Weiterbildung, ohne sicherzustellen, dass das Gelernte auch langfristig im Gedächtnis bleibt.
Ein klassisches Beispiel: Ein eintägiges Seminar wird mit großem Aufwand organisiert, die Teilnehmenden sind motiviert, doch nach zwei Wochen ist ein Großteil des vermittelten Wissens bereits wieder vergessen. Die Folge: Das Schulungsziel wird verfehlt, der Return on Investment bleibt aus.
Hier setzt modernes Wissens- und Bildungsmanagement an. Ziel ist es, das Lernen nicht als einmaliges Event zu begreifen, sondern als kontinuierlichen Prozess, in dem Wiederholung, Transfer und Anwendung fest verankert sind.
Was können Organisationen konkret tun?
Ein gezieltes Lern- und Wissensdesign, das die neurokognitiven Erkenntnisse zum Vergessen berücksichtigt, umfasst mehrere Dimensionen:
1. Lernen als Prozess gestalten
Anstatt punktueller Schulungen sollten Lerninhalte in Lernpfade eingebettet werden, mit zeitlich versetzten Wiederholungen, gezielten Rückblicken und Anwendungsphasen.
2. Multimediales Lernen fördern
Die Forschung zeigt klar: Inhalte, die nicht nur gelesen, sondern auch gesehen, gehört oder interaktiv bearbeitet werden, bleiben besser im Gedächtnis (Mayer, 2009). Videos, Infografiken und Simulationen sind nicht nur nettes Beiwerk, sondern lernpsychologisch wirksam.
3. Reflexion und Anwendung ermöglichen
Menschen behalten Inhalte besser, wenn sie darüber nachdenken, sie in eigenen Worten wiedergeben oder in realen Situationen anwenden. Lernstrategien sollten daher Reflexion, Feedback und Transfer fördern.
4. Individualisierung nutzen
Lernende unterscheiden sich: in ihrem Vorwissen, ihrer Motivation, ihrem Lerntempo. Adaptives Lernen, das auf die jeweilige Person zugeschnitten ist, kann diese Unterschiede ausgleichen und die Behaltensleistung erhöhen.
Vom Wissen zum Handeln: Die Brücke zwischen Lernen und Anwendung
Wissen ist nur dann wertvoll, wenn es im richtigen Moment verfügbar ist. Genau hier liegt die Herausforderung: Inhalte müssen nicht nur aufgenommen, sondern so gespeichert werden, dass sie im entscheidenden Moment abrufbar sind. Das gelingt nur, wenn Lernprozesse strategisch geplant, aufeinander abgestimmt und durchdacht wiederholt werden.
Unternehmen, die diese Prinzipien berücksichtigen, können den Lernerfolg ihrer Mitarbeiter:innen deutlich steigern und damit auch die Effizienz, Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Organisation.
Wie die Eonar GmbH Organisationen beim nachhaltigen Lernen unterstützt
Bei der Eonar GmbH sind wir davon überzeugt, dass effektives Lernen der Schlüssel zu zukunftsfähigen Organisationen ist. Doch Lernen bedeutet für uns mehr als Schulung oder Weiterbildung: es ist ein strategischer Prozess, der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und individuell angepasst werden muss.
Wir entwickeln für unsere Kund:innen integrierte Lernlösungen, die dem natürlichen Vergessen gezielt entgegenwirken. Dazu gehören:
- Didaktisch fundierte Lernformate, die Wiederholung, Reflexion und Transfer intelligent kombinieren.
- Digitale Plattformen, die Wiederholungen automatisch steuern und den Spacing-Effekt optimal nutzen.
- Multimediale Inhalte, die auf unterschiedliche Lerntypen zugeschnitten sind und visuelles Gedächtnis aktivieren.
- Analyse-Tools, die Lernfortschritte sichtbar machen und helfen, Wissenslücken rechtzeitig zu schließen.
Unsere Stärke: Wir verbinden wissenschaftliches Know-how mit praktischer Umsetzung. Ob Onboarding, Produktschulung, Compliance-Training oder Change-Kommunikation – wir gestalten Lernprozesse, die wirken.
Denn Wissen allein reicht nicht. Entscheidend ist, dass es bleibt.
Referenzen
Bjork, R. A. (1994). Memory and metamemory considerations in the design of self-regulated learning. Metacognition and Learning, 3(2), 145–164.
Cepeda, N. J., Pashler, H., Vul, E., Wixted, J. T., & Rohrer, D. (2006). Spacing effects in learning: A temporal ridgeline of optimal retention. Psychological Science, 17(11), 1095–1102.
Ebbinghaus, H. (1885). Memory: A Contribution to Experimental Psychology.
Mayer, R. E. (2009). Multimedia learning. Psychology of Learning and Motivation, 51, 1–19.
Melton, A. W. (1963). Implications of short-term memory for a general theory of memory. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 2(2), 123–135.
NeuroNation (2025). Die Vergessenskurve nach Dr. Ebbinghaus [online], https://www.neuronation.com/science/de/die-vergessenskurve-nach-dr-ebbinghaus/
Phase6 (2025). Wissenschaftlicher Hintergrund [online], https://www.phase-6.de/presse/classic-wissenschaft/
Autorin: Jana-Larissa Grzeszkowiak